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Hochsensibilität und Resilienz

Hochsensibilität Resilienz

Sind hochsensible Menschen widerstandsfähig? Diese Frage mutet auf den ersten Blick etwas provokativ an, herrscht doch landläufig bei Hochsensiblen und Normalsensiblen gleichermassen die Auffassung, sehr empfindsame Menschen seien wenig robust, schnell aus der Bahn zu werfen und würden durch die Wechselfälle des Lebens wie ein Spielball hin- und hergeworfen.

Was ist Resilienz?

Um sich dem Phänomen Resilienz anzunähern, ist es meines Erachtens zunächst einmal wichtig, den Begriff zu klären. Es gibt zwei Lesarten: Die einfache Erklärung, welche sich in den meisten Ratgebern und Seminaren zur Persönlichkeitsentwicklung findet, ist, dass es sich bei Resilienz um eine psychische Belastbarkeit handelt. Demnach können resiliente Menschen Probleme und Lebenskrisen ohne bleibende Schäden überwinden und das Leben weiterführen wie vorher. 

Es gibt aber auch eine komplexere, wissenschaftliche Lesart. Nach dieser sind Forscher der Ansicht, dass es sich bei Resilienz nicht um eine einzelne Kraft handelt, sondern um einen komplexen psychischen Mechanismus, der sich aus vielen Faktoren zusammensetzt, von denen einige bereits bekannt sind, andere aber noch nicht (GEO Wissen Nr. 62). Mir scheint diese zweite Betrachtungsweise sehr viel differenzierter und lebensfreundlicher, weil sie auch die Möglichkeit zur Entwicklung beinhaltet.  

Sind hochsensible Menschen resilient?

Meine Erfahrung, sowohl in meinem eigenen Leben als auch in der Arbeit mit meinen Klienten und Klientinnen, zeigt mir täglich, dass hochsensible Menschen sehr wohl über eine gute Resilienz verfügen. 

Schon die Tatsache, dass sie täglich aufgrund ihrer starken Wahrnehmungsfähigkeit innere Krisen erleben und überwinden, ist ein Zeichen von Resilienz. Gesunde, aber empfindsame Menschen meistern ihr Leben trotz ihrer hohen Sensibilität und bringen in der Regel die Kraft auf, Hindernisse nicht nur zu überstehen, sondern gestärkt aus ihnen hervorzugehen. Gerade wegen des ständigen „Alarmzustandes“ halte ich hochsensible Menschen sogar für sehr resilient. Nur ist ihnen selbst dies meist nicht bewusst. Und oft werden sie auch von ihrem Umfeld als nicht resilient eingestuft, weil ihnen eben schnell alles „zu viel“ ist, sie viele Ruhezeiten benötigen und ihnen Dinge lange „nachgehen“. Und manche Verhaltensweisen (Zum Beispiel die Rückzugstendenz bei Stress) dienen nicht unbedingt der Resilienzentwicklung. 

Ich neige zu der Auffassung, dass das tägliche „Krisenmanagement“ hochsensibler Menschen sie innerlich auf den „Ernstfall“ vorbereitet. Wenn dann tatsächlich Schwierigkeiten eintreten, sind sie schon „vorbereitet“. Dadurch, dass sie sich in der Regel immer sehr viele Gedanken über alle möglichen Szenarien machen, und sich dabei meistens den worst-case vorstellen, entwickeln sie auch Lösungsstrategien. So haben sie oft schon Plan A, B, C oder D zur Hand. 

Faktoren der Resilienz

Forscher sind der Ansicht, dass es ein Zusammenspiel von genetischen, also vererbten und erworbenen Faktoren ist, die einen Menschen resilient machen. Es handelt sich dabei also nicht um eine angeborene Eigenschaft, wie früher vermutet wurde, sondern Resilienz lässt sich auch im Laufe des Lebens entwickeln. Die Grundvoraussetzung dafür ist allerdings die Überzeugung, handlungsfähig zu sein. In der Psychologie spricht man dabei von Selbstwirksamkeitserwartung

Deswegen kommt in den modernen Beratungs- und Therapieansätzen der Entwicklung von Handlungsoptionen eine grosse Bedeutung zu. 

Bei der Resilienz handelt es sich nicht um reines Durchhaltevermögen (obwohl eine gewisse Durchhaltefähigkeit dazu gehört), sondern um ein aktives Handeln. Ich würde Resilienz folgendermassen definieren: 

Resilienz bedeutet, handlungsfähig zu sein. 

Mir kommt eine Klientin in den Sinn, die mir nach der dritten Sitzung sagte: “In den letzten Jahren hatte ich das Gefühl, nichts tun zu können. Ich hatte alle meine Möglichkeiten verloren. Nun gewinne ich sie nach und nach zurück und schaue optimistisch in die Zukunft“. 

Wissenschaftler sind sich nicht wirklich einig darüber, welche Faktoren zur Resilienz gehören. Laut dem Resilienz-Zentrum Mainz (www.lir-mainz.de) gehören folgende Faktoren zu einer guten Resilienz: 

  • Intelligenz
  • Optimismus
  • Extraversion

Ich möchte hier ausdrücklich betonen, dass sich auch Faktoren, die im allgemeinen als angeboren betrachtet werden, wie z.B. die Intelligenz, ebenfalls im Laufe eines Lebens entwickeln können. Ausserdem möchte ich ergänzend hinzufügen, dass meiner Ansicht nach vor allem emotionale Intelligenz zur Ausbildung einer guten Resilienz erforderlich ist. In meinem neuen Buch „Von empfindsam bis hochsensibel“, welches im Januar 2021 bei Kösel erscheinen wird, widme ich der emotionalen Intelligenz ein eigenes Kapitel. 

Bei diesem Punkt wird schon ersichtlich, dass vor allem Hochsensible aufgrund ihrer Anlagen zur emotionalen Intelligenz gute Voraussetzungen mitbringen, um resilient zu sein. 

Oft ist dafür aber ein Aufräumen mit der Lebensgeschichte und das vollständige Anerkennen der hochsensiblen Veranlagung notwendig. Auch Optimismus als zweitem Faktor kann man fördern und laut Elaine Aron ist Intro-bzw. Extraversion ein Lebensstil, der sich im Laufe des Lebens entwickelt und verändert. Die Extraversion zu stärken, hilft dabei, der sozialen Isolation vorzubeugen. Resiliente Menschen können um Hilfe bitten, auf andere Menschen zugehen und qualitativ gute Kontakte pflegen. 

Bewusstsein für die eigene Resilienz entwickeln

Ich denke, dass es von Bedeutung ist, zunächst einmal ein Bewusstsein für die Beschaffenheit der eigenen Resilienz zu entwickeln. Das ist gerade dann wichtig, wenn Sie den Eindruck haben sollten, eben nicht resilient zu sein. Dann ist es von grossem Vorteil, die Dinge anders zu bewerten. Machen Sie sich bewusst: Sie haben schon sehr vieles gemeistert und gestalten trotz oder gerade wegen Ihrer hohen Sensibilität Ihr Leben. Das wäre so nicht möglich, wenn Sie nicht resilient wären. 

Wie schon beschrieben, lässt sich Resilienz entwickeln. Wie kann das konkret aussehen? 

Wie lässt sich Resilienz fördern?

Eines vorweg: Resilienzförderung ist ein lebenslanger Prozess. Und ob jemand über eine gute Resilienz verfügt, ist nur im lebensgeschichtlichen Überblick zu verstehen. Dennoch gibt es Dinge, welche als grundlegend für die Ausbildung einer guten Resilienz gelten. Dazu gehören 

  • Qualitativ gute Kontakte und Verbindung zu anderen Menschen
  • Achtsamkeit stärken
  • Selbstwahrnehmung stärken
  • Dankbarkeit üben
  • Körperwahrnehmung schulen
  • Resiliente Kommunikation üben

(entnommen aus: www.resilienz-akademie.de, abgerufen am 20.5.2020). 

Ich bin der Überzeugung, dass hochsensible Menschen von Natur aus grundsätzlich über diese Fähigkeiten verfügen, sofern sie nicht durch Traumata beeinträchtigt oder blockiert sind. 

Sich selbst als resilient zu erfahren, verändert das Leben. Letztlich dürfen Sie die Erfahrung machen, dass es möglich ist, wie „Bambus im heftigen Wind zu schwingen, ohne zu zerbrechen“, wie es einer meiner Dozenten einmal ausgedrückt hat. 

Brigitte Küster, im Mai 2020

Autorenseite: www.brigitte-kuester.com

Institut für Hochsensibilität IFHS: www.ifhs.ch 

Weiterführende Literatur: 

Fröhlich-Gildhoff, Klaus, Rönnau-Böse, Maike: Resilienz, München 2009, ISBN 978-3-497-02100-0

Weber-Enderlin, Rosmarie, Hildenbrand, Bruno (HRSG.): Resilienz – Gedeihen trotz widriger Umstände, Heidelberg 2006, ISBN 3-89670-511-3

Wunsch, Albert: Mit mehr Selbst zum stabilen Ich – Resilienz als Basis der Persönlichkeitsentwicklung, Heidelberg 2013, ISBN 978-3-642-37701-3

Zander, Margherita: Handbuch Resilienzförderung, Wiesbaden 2011, ISBN 978-3-531-16998-9

Über den/die Autor*in

Brigitte Küster (ehem. Schorr)

Brigitte Küster ist seit fünfzehn Jahren spezialisiert auf das Thema Hochsensibilität und Autorin mehrerer Sachbücher. Sie war an der Entstehung zahlreicher Bachelor- und Masterarbeiten beteiligt. Ausserdem hat sie einen Lehrgang für Fachpersonen konzipiert, welcher zum Ziel hat, Berufsleute verschiedener Branchen in ihrer Kompetenz im Umgang mit ihrer hochsensiblen Klientel zu fördern. Sie ist Leiterin des Instituts für Hochsensibilität IFHS.

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